Verkaufserlöse statt Kundenzufriedenheit

Bankberatung: Zentrale Verkaufsvorgaben bestimmen Kundenkontakte

Nach außen werben Banken gerne mit individueller Beratung und maßgeschneiderten Finanzprodukten. In der Realität ähnelt die Kundenbetreuung bei vielen Geldinstituten aber offenbar eher unpersönlicher Fließbandarbeit: Bankmitarbeiter werden durch hohe Zielvorgaben und computergestützte Vertriebssysteme unter permanenten Verkaufsdruck gesetzt. So sollen Standardprodukte möglichst reibungslos und in großen Mengen vertrieben werden, wie eine aktuelle Studie der Universität Oldenburg zeigt.

Egal ob Sparkasse, Groß- oder Volksbank: Fast alle Institute steuern der Untersuchung zufolge die Arbeit in den Filialen mittlerweile nach amerikanischem Vorbild mit einem IT-gestützten Customer Relationship Management (CRM). Dabei bilde eine Datenbank das Rückgrat der Vertriebsaktivitäten, nicht der einzelne Berater, der den Kunden und seine Lebensverhältnisse kenne. Stattdessen würden sämtliche verfügbaren Informationen über die Kunden gespeichert, wozu die Beschäftigten ständig Daten eingeben müssten. Mathematische Methoden sollen dann Trends und Verhaltensmuster sichtbar und auf Vertriebspotenziale aufmerksam machen. So bildeten sich Kundensegmente – „vom Top-Kunden, der eine ausführliche Beratung wert ist, bis zum Massenkunden, bei dem die Marge als so niedrig angesehen wird, dass er nur standardisierte Produkte erhält“.

Klare Zielvorgaben, Permanente Kontrolle

Das computergestützte Kunden-Management sei dabei eng mit Zielvorgaben und -kontrollen verbunden. Einige Banken geben der Studie zufolge vor, dass jeder zweite Kundenkontakt zu einem Abschluss führen soll oder eine Beratung nicht länger als 30 Minuten dauern darf. Auch die Zahl der Kundengespräche werde häufig vom mittleren Management bestimmt. Die Aktivitäten eines Beraters würden meist einmal pro Woche an den Vorgaben gemessen – und zwar anhand zählbarer Indikatoren wie Kundenanrufe, Zahl der Gespräche und Verkäufe, Einhaltung von Terminen. Die Qualität der Beratung oder das Erreichen von guten Zwischenlösungen und Zwischenständen sei dabei kaum von Bedeutung.

Eine große Rolle komme im Vertrieb Kampagnen zu, bei denen einzelne Produkte für eine Zeit besonders aggressiv vermarktet werden. Es gebe dann die Vorgabe, hiervon möglichst viel abzusetzen. Im Grunde entscheidet der Computer darüber, welche Geldanlage an den Mann oder an die Frau gebracht wird, stellte ein Beschäftigter gegenüber den Forschern fest. Ein weiterer Befragter habe die Anweisung bekommen: Er müsse das zu verkaufende Produkt nicht verstehen, er brauche es nur zu verkaufen.

Durch die klaren Zielvorgaben und die permanente Kontrolle haben die Kundenberater der Studie zufolge häufig fast keine Spielräume mehr bei ihrer Arbeit. Überraschend war dabei für die Forscher, in welchem Umfang die definierten Verkaufsziele alles andere überlagerten. Selbst die „Kundenzufriedenheit, von der man meinen könnte, sie sei auf lange Frist gesehen das Lebenselexier jedweder Vertriebsorganisation“, müsse hinter den Verkaufsvorgaben zurückstehen.

Berater im Zwiespalt

Das Regime übt laut der Studie einen „massiv zunehmenden Leistungsdruck“ aus. „Es wäre schön, ohne solchen Vertriebsdruck zu arbeiten. Dann könnte er vielleicht das Rentenalter im Beruf erreichen“, wird ein Befragter von den Wissenschaftlern zitiert. Fast überall spielten Kennzahlen bis auf die Teamebene eine bedeutende Rolle, in 85 Prozent der Filialen sogar für einzelne Beschäftigte. „Jeder Mitarbeiter wird tendenziell als Profit-Center geführt“, so die Oldenburger Betriebswirte. Die unteren Führungskräfte hätten kaum Spielräume, sondern seien um der eigenen Ziele willen „genötigt, für Zielerreichung zu sorgen“. In etlichen Banken werde der Wettbewerb zwischen Filialen, Regionen, einzelnen Teams richtiggehend zelebriert, wobei von den Resultaten wiederum Boni, Personalausstattung und Karrieren abhingen.

Die Beschäftigten litten aber nicht nur unter dem Leistungsdruck, sondern offensichtlich auch unter dem ständigen Zielkonflikt zwischen Kunden- und Verkaufsorientierung. Selbst wenn es Gegenstimmen gebe: Die Mehrzahl der Betriebs- und Personalräte sage, dass ihr Institut sich in diesem Konflikt eher für die Verkaufsorientierung entscheide. Dass es bei der Vertriebssteuerung in absehbarer Zeit zu grundlegenden Veränderungen kommt, sieht Betriebswirtschafts-Professor Thomas Breisig nicht. Viele der geschilderten Methoden kämen nach wie vor zum Einsatz: Personalabbau, kurz getaktete und sich steigernde Vorgaben, ständiger Vertriebsdruck. Dabei verspreche das allenfalls kurzzeitigen Erfolg: „Auf lange Sicht kann man keine erfolgreiche Dienstleistungsarbeit von frustrierten, unter Dauerdruck gehaltenen und in Rankings betriebsöffentlich abgewerteten Beschäftigten erwarten“, warnt Breisig.

Hintergrund: Für die von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung geförderten Studie analysierten Prof. Dr. Thomas Breisig und sein Forscherteam von der Universität Oldenburg in einer Befragung die Vertriebsstrategien von 127 Groß- und Volksbanken sowie Sparkassen; zudem führten sie zahlreiche Interviews zu den Auswirkungen der Vertriebssteuerung im Arbeitsalltag. Die Untersuchung ist damit nicht statistisch repräsentativ. Sie bietet aber einen breiten Einblick in die drastischen Veränderungen, die sich während des vergangenen Jahrzehnts in der Arbeitsorganisation und der Vertriebssteuerung deutscher Banken vollzogen haben.

Weitere Informationen zum Thema gibt es bei der Hans-Böckler-Stiftung im Magazin Böckler Impulse, Nr. 20/2010 sowie in der Publikation: Thomas Breisig, Susanne König, Mette Rehling, Michael Ebeling, „Sie müssen es nicht verstehen, Sie müssen es nur verkaufen – Vertriebssteuerung in Banken“, edition sigma, Forschung aus der Hans-Böckler-Stiftung, Bd. 119, Berlin 2010, 346 Seiten, 21,90 Euro.

Quelle: Hans Böckler Stiftung
(ENDE) finanzwertig.de/25.01.2011